2ter Aufruf: 8. Mai — (k)ein Grund zum Feiern

Am 08. Mai 1945 kapitulierte die Deutsche Wehrmacht bedingungslos. Gerne wird dieses Datum als „Stunde Null“ der Deutschen Nation bezeichnet — eine Verklärung konstituiert die Deutsche Nachkriegsideologie. Diese Zeit war geprägt vom Tunnelblick nach vorn, neue Erfolge sollten das retuschieren, was für die Deutschen der 8. Mai bedeutete — die Kriegsniederlage.

Lange waren die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition Besatzer oder Schlimmeres, deren Kriegsverbrechen zur Aufrechnung gegen den nationalsozialistischen Massenmord herangezogen wurden, von Befreiung war keineswegs die Rede. Nicht zuletzt ist dies darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung des Deutschen Reiches während des Krieges lange Zeit nicht unter Entbehrungen wie Hunger zu leiden hatte.  Die Idee, die Deutschen seien hier in irgendeiner Weise befreit worden, ist neueren Datums.  Allerdings wird dieser mittlerweile positiv besetzte Tag nicht gesehen als Tag der Befreiung der Welt vom deutschen Faschismus, sondern der Befreiung der Deutschen von Hitler und seinen Schergen.

Die deutsche Kriegspolitik, die auf Ausbeutung und Vernichtung abzielte, hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, in der Rassenhygiene, der Eugenik und dem Antisemitismus. Warum sollte diese Ideologien mit ihrer langen Geschichte ausgerechnet am 8. Mai 1945 ein abpruptes Ende finden?
Während die Nachkriegsjahre von Verdrängung und Abwehr, die der Studentenrevolten von moralischem Protest und der Illusion vom anderen Deutschland und die 80er und 90er von offenem Wiedererstarken der NS-Ideologie in Randgruppen geprägt waren, setzt sich heute ein gesamtgesellschaftlicher Konsens ins Bild, der die Eingemeindung der Toten ins nationale Kollektiv, die Integration der Täterschaft in die nationale Identität proklamiert.

Heute steht Deutschland da als nicht trotz, sondern wegen Auschwitz moralisch integer, die Deutschen haben den Hitlergruß gegen den moralischen Zeigefinger eingetauscht. Ständige Beschallung durch von der Ideologiekritik befreite Dokumentationen und deren pädagogische Verwaltung erzeugen das Gefühl der Überinformation, wo doch nur Besinnungslosigkeit herrscht. Wer so mit Faktenakkumulation statt Reflexion, mit affektiver Ablehnung statt argumentativer Kritk beschäftigt ist, hat der demokratisierten Form des Nationalsozialismus nichts entgegenzusetzen.

„Auch die Opfer sind irgendwo Täter und die Täter sind irgendwo Opfer.“, so sieht das nicht nur Arnulf Baring und freut sich unwidersprochen, dass der Film „Unsere Mütter, Unsere Väter“ mit der Legende der bösen Deutschen endlich aufräumt. Das „Beschweidwissen“ über die eigene Geschichte ist die Grundlage der deutschen Empörung, welche sich jene Täter-Opfer-Umkehr durch Vernebelung zum modus operandi gewählt hat, wenn sie Israel zum „mörderischen Apartheidsstaat“ und den Iran zum  „zu unrecht stigmatisierten“ Handelspartner macht.

Der 9. Mai 1945 markiert also nicht den Beginn der Aufarbeitung der Geschichte, sondern die organisierte Besinnungslosigkeit der Deutschen. Wir betrachten das „Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen  gegen die Demokratie“ (Adorno, Theodor W. (1959): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit)

Sich die gesellschaftliche Situation vergegenwärtigend können wir uns der Erkenntnis nicht verschließen, dass die Option für eine radikale Kritik an den Verhältnissen letztlich zu einem folkloristischen Akt verkommen muss und somit der Bewusstseinsbildung nicht dienlich sein kann. Nicht zuletzt deshalb nehmen wir den 8.Mai nicht zum Anlass für warme Worte, sondern nutzen die Chance, zumindest für einen Tag, diejenigen zu feiern, die das taten, wozu das „deutsche Volk“ wenig überraschend nicht im Stande war, nämlich der nationalsozialistischen Form der Barbarei ein Ende zu setzen.

Im Bewusstsein, mit einer Melange aus Provokation, wummernden Bässen und Alkohol mehr beim Gegenüber zu erreichen, als die übliche Ablehnung, nämlich Wut und Verwirrung, erfreuen wir uns, in Verweigerung der Resignation, an einem nostalgischen Vergangenheitsbezug. Denn wer in der Vergangenheit lebt muss die Gegenwart nicht ertragen, zumindest für einen Tag.

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  • 8. Mai / 17 Uhr / Bockenheimer Warte/Uni-Campus, Frankfurt am Main / Rave „8th of May: thank you, liberators!“ mit: Björn Peng, Sandy, Klangexperimente

    danach: 22 Uhr / Oetinger Villa, Darmstadt / „Game over Krauts!“ mit: Björn Peng, Das Flug, Inglorious Bassnerds